In Berlin ist die Debatte über die Zensur der weiblichen Brust neu entbrannt. Auslöser dafür war ein Vorfall an der "Plansche", einem Wasserspielplatz im Bezirk Treptow-Köpenick. Die Frau, der wir es zu verdanken haben, dass endlich auch in Deutschland darüber diskutiert wird, inwiefern es gerechtfertigt ist, Frauen dadurch einzuschränken, dass Ihnen sogar beim Sonnenbaden, Schwimmen im See oder beim Stillen ihrer Kinder verboten wird, ihre Brust zu zeigen, ist Gabrielle Lebreton. Sie begab sich mit ihrem Kind und in Begleitung eines Freundes und seines Kindes an einem Sommertag im Jahr 2021 zur Plansche, um die Kinder dort spielen zu lassen. Frau Lebreton legte sich, wie ihr männlicher Begleiter, mit Badehose, aber ohne Oberteil auf die Wiese. Der seitens des Bezirksamts Treptow-Köpenick engagierte Sicherheitsdienst schritt ein. Frau Lebreton wurde anders als ihr Begleiter aufgefordert ihre Brust zu bedecken, anderenfalls müsse sie gehen. Als Frau Lebreton sich unter Verweis auf die eindeutige Diskriminierung weigerte, wurde sie aufgefordert, das Bad zu verlassen.
Daraufhin diskutierte die Stadt, warum Frauen und als weiblich gelesene Personen selbst in Berlin anders als Männer und als männlich gelesene Personen ihre Brust in der Öffentlichkeit zu verdecken haben. Es kam zu Protesten und einer wie so oft mehr oder weniger hilfreichen Diskussion in der Presse. Zunächst wurde berichtet, es habe sich um eine stillende Frau gehandelt. Hunderte von Frauen setzten sich ohne Oberteil auf ihr Rad und fuhren durch die Stadt, um mit der Fahrrad-Demo für mehr Gleichberechtigung der weiblichen Brust zu demonstrieren. Beendet ist die Debatte keineswegs. Insbesondere die seitens des Bezirksamts veröffentlichten Stellungnahmen zeigen, dass das vor kurzem verabschiedete Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) in der praktischen Umsetzung noch einige Starthilfe benötigt.
Der Vorfall ist der Berliner Höhepunkt einer Debatte, die seit langem unter dem Hashtag #FreetheNipple geführt wird. Geändert hat sich eigentlich nichts. Insgesamt wird bis heute gesellschaftlich die weibliche Brust stärker sexualisiert als die männliche. #FreetheNipple möchte verhindern, dass weiblich gelesene Brustwarzen und Brüste zensiert und damit die Freiheiten von Frauen beschnitten werden. Es geht im Ergebnis also um Gleichberechtigung. Man könnte sogar sagen, es geht um die Entkriminalisierung der weiblichen Brust, da das Zeigen der weiblichen Brust in der Öffentlichkeit auch in Deutschland noch immer als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ oder „Belästigung der Allgemeinheit“ gilt, während die männliche Brust seit Jahrzehnten munter in die Gegend gestreckt werden darf. Und wie man an dem oben beschriebenen Vorfall sehr gut sehen kann, ist das schlicht ein ungerechtfertigtes Privileg, dass selbst beim Baden und der Wahl der Bademode zum Tragen kommt.
Letztlich fing alles damit an, dass die Social Media Plattform Instagram jedwedes Bild, auf dem eine weibliche Brustwarze zu sehen war, wegen Verstoßes gegen die Richtlinien löschte. Männliche Oberkörper durften seit jeher auf allen Social Media Plattformen verbleiben. Es gab dagegen mehrere Protestaktionen. So veröffentlichte beispielsweise der Account "Genderless Nipples" Fotos in Nahaufnahme von sowohl weiblichen als auch männlichen Brustwarzen. Der Künstler Spencer Tunick fertigte Brustwarzen aus Pappkarton, mit denen nackte Menschen ihre Genitalien verdeckten. Die weiblichen Brustwarzen wurden dabei mit Aufklebern von männlichen Brustwarzen verdeckt. Mittlerweile gibt es diverse Accounts, die sich für eine Änderung der Richtlinien einsetzen. Bislang weigert sich die Firma Facebook, zu der auch Instagram gehört, jedoch die Handhabung zu ändern.
Letztlich geht es doch bei jeder Form der Zensur um Macht. Etwas anderes gilt im Ergebnis auch nicht bei der Zensur der weiblichen Brust. Frauen Vorschriften zu ihrem Äußeren und ihrem Verhalten zu machen und ihre Körper zu kontrollieren hat in den meisten Gesellschaften und Religionen eine lange Tradition. Allerdings resultiert daraus eben auch ein verstärktes Schamgefühl, was bei entsprechender Sozialisierung dafür sorgt, dass viele Menschen sich in der Nähe weiblich gelesener Brüste extrem unwohl fühlen und darin schlicht anstößiges Verhalten erblicken oder sich belästigt fühlen. Dieser Anstoß wird dann wiederum zur Rechtfertigung dafür angeführt, warum eine Diskriminierung von Frauen zwingend ist.
Aber wer sagt eigentlich, dass Menschen sich an nackten männlichen Oberkörpern nicht stören? Wer hat das wann entschieden und warum? Was wenn Frauen und Kinder sich durch nackte Oberkörper männlicher Mitmenschen weit mehr belästigt fühlen, als andersherum? Und bei der Beantwortung dieser Fragen wird es nunmal interessant. Beziehungsweise fängt dort eben die Ungleichbehandlung an.
Besonders perfide ist das alles im Falle stillender Frauen, die dadurch gezwungen werden mit ihren Kindern weitestgehend zu Hause zu bleiben, wenn sie kein Aufsehen erregen wollen. Hier rührt der Anstoß dann aber offenbar eher daher, dass die Brust nicht mehr sexualisiert wird und die Mütter die Frechheit besitzen, ihre Brüste für etwas praktisch notwendiges einzusetzen. Sie sollen ja dann doch bitte sexualisiert bleiben, nur eben bitte schön verhüllt und auch bitte nicht in der Öffentlichkeit. Das Thema der stillenden Brust würde aber für sich einen ganzen Aufsatz füllen und kann hier daher nur angeschnitten werden, da dieses Vorgeplänkel im Ergebnis dazu dienen soll, das LADG näher zu beleuchten.
Oder dem Bikinioberteil! Die Zensur der weiblichen Brust ist ein veraltetes Überbleibsel des Patriarchats, welches sich insbesondere in einer Stadt wie Berlin in keiner Weise mehr rechtfertigen lässt. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, warum Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit, ihren Entscheidungen über ihr Wohlbefinden oder eben über ihre Bekleidung stärker eingeschränkt werden sollten als Männer und das letztlich nur aufgrund des "male gaze" und der damit einhergehenden Sexualisierung der weiblichen Brust, um die Frauen in der Öffentlichkeit seltenst bitten. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es wie im Fall der Plansche nicht wirklich überraschend ist, dass dort auch von Frauen (sonnen)gebadet wird. Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper ist der erste und wichtigste Schritt zu echter Gleichberechtigung. Solange Frauen vorgeschrieben wird, was sie zu tragen haben, kann von Gleichberechtigung keine Rede sein.
Zugegebenermaßen bin ich nicht die erste die über das Thema "Free The Nipple" und "Vorfall an der Plansche" schreibt. Insbesondere die Presse hat sich dazu ausreichend ausgelassen. Niemand hat sich jedoch dazu geäußert, was Betroffene bei Vorfällen wie diesem eigentlich unternehmen können. Ich möchte die Gelegenheit daher vor allem nutzen, um die Aufmerksamkeit noch einmal auf das im letzten Jahr in Berlin verabschiedete Antidiskriminierungsgesetz zu lenken und darauf welche Mittel dieses zur Verfügung stellt, sich gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen.
Der Berliner Senat hat nach langer Debatte am 04.06.2020 das Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet, welches zum 21.06.2021 in Kraft getreten ist. Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz ist das erste seiner Art in Deutschland und schließt eine Rechtslücke, die gerade im Bereich des behördlichen Handelns noch besteht. Das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) ist das zentrale antidiskriminierungs-rechtliche Schlüsselprojekt des Berliner Senats. Hintergrund der Debatte, die zum Erlass des Gesetzes geührt hat, waren vor allem Vorfälle bei der Berliner Polizei und Vorwürfe von Rassismus in deren Reihen. Es sollte ein Instrument geschaffen werden, gegen solche Vorfälle vorzugehen.
Gleichzeitig setzt das LADG aber insgesamt ein in dieser Zeit besonders wichtiges gesellschaftspolitisches Signal gegen Ausgrenzungen und Stigmatisierung und für eine offene, solidarische und vielfältige Gesellschaft.
Es wurde auch eine allein für Beschwerden nach dem LADG zuständige Ombudsstelle eingerichtet, die den Betroffenen als Anlaufstelle dient und die über umfassende Instrumente verfügt, den Betroffenen zur Seite zu stehen.
Die Ombudsstelle hat zudem das Recht offizielle Beanstandungen auszusprechen und die Behörde zur Abhilfe aufzufordern. Sie unterstützt und berät Personen, die sich an sie wenden, kostenfrei bei der Durchsetzung Ihrer Rechte. Im Rahmen ihrer Tätigkeit kann sie, sofern die Betroffenen das wünschen, auf eine gütliche Streitbeilegung hinwirken. Sie ist berechtigt, jederzeit Sachverständige hinzuzuziehen, Gutachten einzuholen, Beschwerden weiter zu vermitteln und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Die öffentlichen Stellen sind verpflichtet, die Ombudsstelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie erbetene Stellungnahmen abzugeben.
Das Klagerecht des/der einzelnen Betroffenen ist jedoch davon unabhängig. Nur im Fall der Verbandsklage muss die Abhilfe durch die Behörde abgewartet werden.
Mittlerweile wird in mehreren Bundesländern diskutiert, ob auch dort ein Antidiskriminierungsgesetz eingeführt werden soll.
Das LADG richtet sich anders als das im Jahr 2006 auf Druck der EU verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) an öffentliche Stellen und Behörden, wie die Polizei und soll Diskriminierungen im Bereich des behördlichen Handelns ausschließen. Das AGG richtet sich gegen Diskrimierungen in privaten Rechtsverhältnisses, wie beispielsweise zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Staat in seinem Handeln ist in den Anwendungsbereich des AGG nicht einbezogen, sodass hier eine erhebliche Lücke bestand. Betroffene waren durch behördliche Diskriminierungen zuvor letztlich schutzlos gestellt.
Dem LADG liegt zudem ein weiterer Katalog zu schützender Diskriminierungsmerkmale zugrunde, so werden z.B. der soziale Status und die chronischen Erkrankungen einbezogen, während das AGG nur vor Diskriminierung wegen "Rasse", ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder der sexuellen Identität schützen soll. Anders als das AGG benutzt das LADG auch nicht mehr den Begriff Rasse, der gemeinhin selbst als latent rassistisch und problematisch angesehen wird, sondern verbietet stattdessen die Diskriminierung aufgrund einer "rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung", der zwar die gleichen Fälle erfassen soll, ohne dabei jedoch rassistischen Jargon zu verwenden. Zudem eröffnet das LADG die Möglichkeit, dass Klagen durch anerkannte Antidiskriminierungsvereine erhoben werden können und zwar auch in Bezug auf den Einzelfall.
Zuletzt unterliegen Ansprüche nach dem LADG einem wesentlich weniger strengen Fristenregime als das AGG. Ansprüche nach dem AGG müssen innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis der Diskriminierung schriftlich geltend gemacht, und innerhalb weiterer drei Monate ab der Geltendmachung eingeklagt werden. Im LADG ist lediglich eine Verjährungsfrist von einem Jahr geregelt, sodass Ansprüche noch im Folgejahr nach der Diskriminierung eingeklagt werden können.
Das Landes-Antidiskriminierungsgesetz regelt nicht nur besondere Formen der Diskriminierung und untersagt diese, es bietet auch unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten. So regelt § 8 LADG eine Schadensersatzpflicht der verantwortlichen Behörde bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot, die ggf. auch gerichtlich durchgesetzt werden kann.
Die daraus resultierenden Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche sind danach von den Betroffenen im ordentlichen Rechtsweg, also bei den Zivilgerichten durchzusetzen. Die Klagen können zudem durch anerkannte Antisdiskriminierungsverbände im Wege der Verbandsklage geführt werden und zwar auch im Einzelfall anstelle der Betroffenen.
Teilweise wurde in den Medien zur Verabschiedung des LADG befürchtet, es werde aufgrund der geregelten Schadensersatzpflicht eine Klagewelle auf Ansprüche nach dem LADG geben. Insbesondere die Polizeigewerkschaften sahen darin teilweise eine Behinderung der Polizeiarbeit.
Die taz schrieb hierzu treffend kurz nach Verabschiedung des Gesetzes: "Was herrschte für eine Aufregung bei der Verabschiedung des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) Anfang Juni dieses Jahres. Eine „Klagewelle“ werde es geben, jammerten Polizeigewerkschafter, die Polizeichefin und Oppositionspolitiker: Polizisten könnten ihre Arbeit nicht mehr machen, weil ihnen nun jeder Clanchef Rassismus vorwerfen könne.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte das bundesweit einmalige Gesetz, das BürgerInnen vor Diskriminierung durch Behörden schützen soll, schlicht für überflüssig, andere Bundesländer drohten, keine PolizistInnen mehr in die Hauptstadt zu entsenden."
Diese Befürchtungen waren ganz offensichtlich unbegründet. Das Gesetz hat bereits seinen ersten Geburtstag hinter sich und es wurde bislang keine einzige Klage auf Schadensersatz nach § 8 LADG erhoben, obwohl es weit über 300 Beschwerden gab, allerdings bei weitem nicht nur über die Polizei sondern in Bezug auf die unterschiedlichsten Bereichen der Verwaltung. Interessant ist dabei auch, dass ein Großteil der Beschwerden im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie standen, sodass eventuell auch ein Rückgang der Beschwerden zu erwarten ist.
Sicherlich hat das Ausbleiben der Klagewelle viel damit zu tun, dass den Betroffenen häufig vor allem daran gelegen ist, Ihre Perspektive darzustellen, ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und eine Entschuldigung zu erhalten. So sieht dies auch die Leiterin der Ombudsstelle, Frau Doris Liebscher. Ihr Einsatz sorgt schlicht häufig dafür, dass eine Klärung auch ohne Rechtsstreit herbeigeführt werden kann.
Andererseits spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass für die Ansprüche nach dem LADG der Weg zu den ordentlichen Gerichten vorgegeben und nicht etwa die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist, die ansonsten für Klagen gegen Behörden die richtige Anlaufstelle wäre. Dies erstaunt nicht nur, es hat auch erhebliche Nachteile für die Betroffenen. Beispielsweise gilt im Verwaltungsrecht der Amtsermittlungsgrundsatz, der besagt, dass das Gericht den Sachverhalt abschließend aufzuklären hat. Bei den für Schadensersatzansprüche je nach Höhe zuständigen Amts- und Landgerichten sind die Betroffenen jedoch vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet. Sie müssen also das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, den Verstoß gegen § 2 oder § 6 LADG und den daraus entstehenden Schaden, nicht nur umfassend behaupten, sondern im Ergebnis eben auch beweisen. Anders als bei den Arbeitsgerichten, welche für Entschädigungsklagen nach dem AGG meist zuständig sind, besteht zudem ein höheres Kostenrisiko.
In Bezug auf den Vorfall an der Plansche ist die Diskriminierung und damit ein Verstoß gegen das LADG offenkundig. Frau Lebreton wurde ersichtlich anders behandelt, als die anwesenden männlichen Badegäste, denn sie wurde anders als diese nicht nur aufgefordert, ihre Brust zu bedecken, sondern musste sogar das Gelände verlassen, als sie dies nicht tat. Der Vorfall lässt sich auch recht unproblematisch belegen, sodass eine Klage nur dann keinen Erfolg hätte, wenn die Behörde den Verstoß rechtfertigen könnte. Denn wie auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach dem Grundsatz und auch im Bereich des AGG bedeutet Diskriminierung im Grunde erst einmal nichts anderes als Ungleichbehandlung. Nicht jede Ungleichbehandlung ist jedoch verboten. Selbst dann, wenn die Ungleichbehandlung wie hier nachweislich auf einem verbotenen Merkmal, wie dem Geschlecht beruht, kann sie ausnahmsweise durch sachliche Gründe im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt sein.
Nach § 5 LADG ist demnach ebenfalls zu fragen, ob ein hinreichend sachlicher Grund für die Diskriminierung bestand. Dies erscheint im konkreten Fall eher fernliegend. Die Behörde stützt sich hier wohl hauptsächlich auf ihre Nutzungsordnung, die es erlaubt im Falle von Belästigungen Gäste von Besuchen auszuschließen. Was eine Belästigung ist, ist jedoch objektiv anhand der Rechtsordnung auszulegen. Eine Belästigung nach dem Strafgesetzbuch, die also ein Verbrechen oder Vergehen darstellt, scheidet ersichtlich aus, da § 184i StGB die Berührung einer anderen Person in sexuell bestimmter Weise voraussetzt. Eine weitere Form der Belästigung ist im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) geregelt. § 118 OWiG setzt eine grob ungehörige Handlung voraus, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Zu dieser Frage gibt es umfassende Rechtsprechung, die ich an dieser Stelle nicht umfassend besprechen möchte. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass für Orte an denen mit Nacktheit zu rechnen ist, wie Badeseen oder eben einer "Plansche" hierfür andere Maßstäbe gelten als beispielsweise mitten in der Stadt auf einer Restaurantterrasse. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass sich eventuell einzelne Besucher gestört fühlten.
Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob das Entblößen der weiblich gelesenen Brust im Allgemeinen strafrechtlich relevant ist. Vorab sei gesagt, dass ein entsprechendes Ordnungswidrigkeitenverfahren im obigen Fall nicht eingeleitet wurde. Dennoch hielt die Behörde in ihrer Stellungnahme daran fest, dass der Tatbestand der Belästigung erfüllt sei. Es stimmt zwar, dass die weibliche Brust anders als die männliche in der Öffentlichkeit als Belästigung empfunden wird, was freilich nur daran liegt, dass die weibliche Brust, ohne dass diese darum gebeten hätte, stärker sexualisiert wird. Auch das ist diskriminierend und Gegenstand der Debatte um Free the Nipple. Ob die nackte Brust eine Belästigung nach dem OWiG darstellt, ist jedoch stets anhand des Einzelfalls zu prüfen. In Bereichen, wo sich gesonnt wird, ohne dabei auch nur in die Nähe anderer Menschen zu kommen, ist dabei sicherlich ein weniger strenger Maßstab anzusetzen.
Die Frage lässt sich daher nicht pauschal beantworten. Es ist aber festzuhalten, dass das Sonnenbaden ohne Oberteil kaum mehr als unüblich gelten kann und auch nicht in so deutlichem Widerspruch zur Gemeinschaftsordnung steht, dass jeder billig und gerecht denkende Mensch es als grob rücksichtslos betrachten würde. Dies wäre für eine Belästigung aber erforderlich. Andererseits ist wohl weiterhin davon auszugehen, dass Frauen anders als Männer rechtliche Konsequenzen befürchten müssen, wenn sie außerhalb eines entsprechenden Kontexts ihren Oberkörper nicht bedecken und ihre Brust zur Schau stellen.
Wir sind von Nippel-Gleichberechtigung noch weit entfernt. Doch die zweite Feminismus-Welle, die echte Gleichberechtigung fordert, rollt und hat bereits dafür gesorgt, dass die Debatte ganz anders geführt werden kann. Das LADG zeigt, dass sich auch politisch etwas bewegt und Diskriminierung insgesamt weniger geduldet wird. Das ist alles ein langer und zäher Prozess, der aber trotz vermeintlich starker Gegenbewegungen konstant für mehr Bewusstsein und Toleranz in der Gesellschaft gesorgt hat und weiterhin sorgen wird. Wichtig für diese Entwicklung ist aber vor allem auch, dass die Betroffenen die Ihnen zur Verfügung gestellten Mittel gegen Diskriminierung effektiv nutzen und die Vorfälle anzeigen, melden und sich Unterstützung holen.